Autor & Liedermacher

Höchstaktuell            

In Erinnerung an den schwarzen Tag in der Geschichte Israels und der Menschheit: 

Pogrom vom 7. Oktober 2023

Über die Juden

Es wäre bereits genug gewesen

Auszug aus dem historischen Roman von Günther M. Doliwa „Zoltans Ziege. Herzogenaurach 1525“  erschienen 2007

Kap. 4/10, S. 305-310; ISBN  978-3-00-021967-2 - Preis: 16:80 Euro

 

„Hätten sie uns nur herausgeführt, uns die Besitzlosigkeit zu lehren, ohne unsere Heimat, unseren Tempel zu zerstören, wäre dies bereits genug für uns gewesen.

Hätte niemand außer Papst Gelasius I. im Jahre 495 gelehrt, dass ‚Judas, der Teufelsgehilfe, seinen verruchten Namen dem ganzen Judenvolk vererbt hat’, allein wir Juden seien notorische Verräter, während sein jüdischer Kollege, Mitapostel und Papst, Petrus, der Fels der Kirche, bekanntlich seinen Rabbi nicht weniger als drei Mal öffentlich verleugnet hat - wäre dies bereits genug für uns gewesen.

Hätte nicht Mainz als erste deutsche Stadt 1012 mit Pogromen begonnen, die meisten der zweitausend Juden zu vertreiben (gefolgt von Speyer, Worms, Straßburg, Trier) - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie uns nicht dafür bestraft und ermordet, weil wir die Taufe verweigerten - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätte uns Papst Gregor VII. (1073-85) nicht die Annahme von Ämtern verboten - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätte uns nicht Papst Innozenz III., der bedeutendste Papst des Mittelalters, zur Lebenszeit des Walther von der Vogelweide im höchsten Amt, beim Laterankonzil 1215 von Handwerk und Gewerbe ausge-schlossen, außer vom Geldverleih - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätte uns nicht dieser Papst, der einen so harmlos-unschuldigen Namen wählte, gezwungen, den Judenhut und einen gelben Fleck zu tragen - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten uns nicht immer wieder die Hetzprediger, zum Beispiel der Franziskanermönch Berthold von Regensburg (1210-72), Räuber, Diebe und Betrüger genannt, die wie Heiden und Zöllner dem Teufel verfallen wären - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie uns nicht vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, im Laufe der Kreuzzüge, in ganz Europa verfemt und verfolgt, obwohl wir kaiserlichen Rechtsschutz genossen, obwohl wir als Kaufleute, Gutsbesitzer, Zollbeamte, Münzmeister, Ärzte und Gelehrte zur wirtschaftlichen und kulturellen Blüte des Abendlands beitrugen - wäre das nicht bereits genug gewesen?

Hätte nicht 1298, als die Kreuzzüge abebbten, im fränkischen Röttingen an der Tauber der verarmte Ritter ‚Rindfleisch’ angefangen, unter der Behauptung, er würde Hostienfrevel rächen, mit einer Meute von Totschlägern durch Städte und Gemeinden zu ziehen, um tausende Juden zu massakrieren, - in Rothenburg wurden alle 469 Juden erschlagen, in Nürnberg 628; in Würzburg 900; in Neustadt an der Aisch 71; in Windsheim 57; in Bamberg 126; in Forchheim 85; in Höchstadt an der Aisch 32; in Ebermannstadt 15 - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sich nicht 1336, abermals im Taubertal, Raubgesindel, Pöbel, Bauern und Ritter als Judenjäger und Judentotschläger zusammengerottet, die einen König ‚Armleder’ wählten - der berüchtigte ‚Armlederbund’ -   um zwei Jahre lang gegen uns zu wüten - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie nicht immer wieder die gleichen Lügen auffrischen und auftischen können, gegen jede Vernunft und Toleranz, wir seien die Mörder Christi, Ritualmörder, Hostienfrevler, Pestbringer und Brunnenvergifter - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie, als die Beulenpest ausgebrochen war, eingeschleppt von Seeleuten aus Asien, uns nicht die Schuld dafür in die Schuhe geschoben, und 570 Juden in Nürnberg getötet, in Würzburg ein ganzes Ghetto in die Flammen getrieben, in Freiburg alle Juden außer den Frauen verbrannt - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie uns nicht 1385 in Nürnberg gefangen genommen, bis alle Schuldscheine abgeliefert waren, (- die Nürnberger Juden hatten auswärtig Forderungen von achtzigtausend, in der Stadt von fünfund-zwanzigtausend Gulden -) hätten sie nicht eine gewaltsame Schuldentilgung von uns erzwungen - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie nicht über den zerstörten Synagogen längst Marienkapellen wachsen lassen – wäre das nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie uns nicht nach Polen vertrieben, wo später aus der mittelhochdeutschen, hebräischen, polnischen und russischen Sprache das Jiddische entstand - wäre dies nicht bereits genug für uns gewesen?

Hätten sie uns nicht mit der ‚Judensau’ verspottet, an deren Zitzen wir angeblich hingen, oder rückwärts rittlings, beispielsweise in Sankt Sebald in Nürnberg, in Cadolzburg bei Fürth, in Wittenberg oder am Bamberger oder Regensburger Dom - ausgerechnet uns, die wir kein Schweinefleisch essen, beschimpften sie als ‚Saujuden’ - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie uns nicht den ‚Juden-Eid’ schwören lassen, barfüßig auf der blutigen Haut einer Muttersau, die vierzehn Tage zuvor geferkelt hatte – wäre das nicht genug gewesen?

Hätten nicht die Bischöfe von Bamberg und Würzburg, unter Einschluss der Markgrafen Friedrich und Johannes von Brandenburg am 25. April 1422  in Herzogenaurach einen Judenerlass angestiftet und in die Welt gesetzt, mit dem Inhalt, keine Juden mehr im Land zu dulden, sämtliche Juden beiderlei Geschlechts in ihren Ländern an einem festgesetzten Tag (St. Peter, 29. Juni) einzufangen und nur gegen ein Lösegeld von 60.000 Gulden wieder freizugeben, sie zu brandmarken, ihre Güter, Papiere, Pfänder zu enteignen und endgültig zu vertreiben - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Und hätte nicht die Ausweisungswelle im 15. und 16. Jahrhundert genügt, - nach einer Galgenfrist erfolgten 1453, 1478, 1484, 1488 wiederholt Ausweisungserlasse für alle Juden in Bamberg, 1499 in Nürnberg, 1515 in Ansbach, Erlangen und Bayreuth, 1519/20 in Regensburg - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten die Katholischen unsere Rabbiner dann nicht auch noch für die Reformation verantwortlich gemacht, als Übersetzungshelfer des Reformators - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Und hätte nicht Martin Luther in unverzeihlichen Ausfällen dazu aufgerufen, unsere Häuser zu zerstören, unsere Synagogen und Bücher zu verbrennen und unsere Jugend zur Arbeit im Schweiß der Nase anzuhalten, wegen unserer verstockten Verweigerung der Taufe - wäre dies nicht bereits genug gewesen?

Hätten sie nicht, durch zwei Jahrtausende hindurch, ständig neues Gift gebraut, ständig gegen uns „und andere Ungläubige“ gehetzt, um uns für immer und ewig zu vernichten - wäre dies noch immer nicht genug?

Oh hätten sie doch dem Wüterich die Peitsche aus der Hand gerissen, der großmächtig beschlossen und großmäulig gedonnert hatte, uns aus dem Gedächtnis der Menschheit zu tilgen, und unzählige, willige Vollstrecker dabei fand! 

Oh hätten sie sich doch als Menschen erwiesen!

 

Und trotzdem, trotz alledem tragen wir keinen Hass in uns. Aber einen untrüglichen Sinn für Gerechtigkeit. Auch wenn uns heute noch Nachkommen Abrahams als Urheber des Bösen verketzern.

Und trotzdem, trotz alledem haben wir Gründe dankbar zu sein. Wir zählen mit unsagbarer Freude all die Segnungen, die wir auf dem auch unbegreiflich wunderbaren Weg erleben durften, der unser auserwählter Weg durch die Geschichte ist.

Hätte sich der Herr nicht für uns eingesetzt, als sich gegen uns Menschen erhoben, dann hätten sie uns lebendig verschlungen.

Zehn Plagen waren es im alten Gefängnis Ägypten: Blut, Frösche, Ungeziefer, wilde Tiere, Viehpest, Eiterbeulen, Hagel, Heuschrecken, Finsternis, Sterben der Erstgeburt!

Tausende Plagen, unfassbar schreckliche, sind hinzugekommen.

Bei der Nennung jeder Plage verringern wir unsere Freude, indem wir einen Tropfen Wein als Symbol der Tränen Gottes versprengen. Geschenkt ist geschenkt. Aber Freiheit kostet ihren Preis.

 

Unsere Seele ist wie ein Vogel,

dem Netz des Jägers entkommen;

das Netz ist zerrissen,

und wir sind frei. (Psalm 124)

 

Blast das Widderhorn zur Versöhnung!

Lest die Schöpfungsgeschichte neu.

Schöpft mit uns Trost aus dem Unerschöpflichen!

Bauen wir Brücken für den Frieden.

Wir haben ihn nötiger denn je.“

 

 

Das Kapitel verwendet Formulierungen aus dem Prachtbuch:

Hrsg. Dr. M. Shire, Die Pessach Haggada,

Jüdische Verlagsanstalt Berlin 2001, S. 28.

Ein Roman über eine Liebe im Krieg.

 

Gegen all die Sinnlosigkeit von Kriegen - gerade auch dem in der Ukraine - wird hier von einer Liebe erzählt, die alles auf eine Karte setzt.

 

 

 

Preis:

20 E

Klimaschlafwandel

Oder: Vom Verschwinden der Arten

Für Katrin Böhning-Gaese & Friederike Bauer

 

Lebensräume verschwinden             Wir sind die Blinden

Tier und Land übernutzen                Wir stressen und stutzen

Klimawandelextreme                         Wir kriegen Probleme

Umwelt verschwenden                      Wie und wo soll das enden

Invasion fremder Arten                     Verdreht die Landkarten

 

Wohlstand heißt Verbrauch              Klar richtig auch Bauch

 

Landwirtschaft zerfrisst Flächen     Natur hat halt Schwächen

Artenreichtum erbeuten                   Für hungrige Meuten

Erderwärmung anheizen                  Mit fossilen Reizen

Meeresböden umpflügen                  Konsum kann nicht lügen

Gebietsfremde Tiere                          Erobern Reviere

 

Vielfalt nützt dem Klima                    Schön wär’s danke prima

 

Meere versauern                                 Sorry, wir bedauern

Mehr Plastik als Fisch                        Wir bitten zu Tisch

Seen ersticken                                     Zeitbomben ticken

Flüsse versiegen                                   Wir reisen wir fliegen

Egal wie entlegen                                Müll kippt uns entgegen

 

Die Leistung der Natur                      Juckt uns keine Spur

 

Großraubbau im Ganzen                   Was soll sich fortpflanzen

Hai Barsch Kabeljau                            Dezimiert wie Sau

Kipppunkt Fehlanzeige                       Es geht schleichend zur Neige

Extreme Verschmutzung                    Wir reden von Nutzung

Asiens Tigermücken                            Bringen Fieber mit Tücken

 

Es erholt sich der Rest                       Nur wenn man ihn lässt

 

Moore fallen trocken                          Vernässen kann locken

Dünger Plankton vermehrend         Leider verheerend

Seestern nascht gern Riff                  Das erbleicht vom Zugriff

Emissionen sind teuer                       Büroungeheuer

Wahre Kosten einpreisen                  Ein ganz heißes Eisen

 

Zu bremsen den Schwund                 Geht nur im Verbund

 

Bewusst gegensteuern                       Schutzgebiete erneuern

Schadsubvention kürzen                   Biodivers würzen

Fleischkonsum runterschrauben     Was sich Ökos erlauben

Mit Natur sich befassen                     Wahre Werte erfassen

Der Wildnis Raum geben                   Vervielfältigt Leben

 

Wir sollten längst handeln                Nicht Klimaschlafwandeln

 

 

16./21.5.2023 © Günther M. Doliwa

 

Lieber Herr Doliwa,

vielen Dank für das wunderbare Gedicht; wie schön!

Es freut mich sehr, dass das Buch Sie zu einem wirklich eindrucksvollen Gedicht inspiriert hat!

Mit besten Grüßen, Katrin Böhning-Gaese (23.5.2023)

Welt-Spiegel

Für Natalie Amiri

 

Wenn das Herz anspringt auf sein Thema,

FRAUEN mit Löwenkräften FREIHEIT einfordern

Zum Preis ihres LEBENs,

 

Dann hält sie, aus Passion, der Welt den Spiegel vor

Und der Außenpolitik die fehlende

Einlösung ihrer Versprechen.

 

Erzählt muss sein, um Mut zu wecken im gelähmten „Gottesstaat“,

Etwa von der Aktivistin Narges Mohammedi, die

Im Gefängnis, totaler Willkür ausgeliefert, schrieb

 

Auf kostbares Klopapier, wie im Knast gedemütigt,

Gefoltert, vergewaltigt wird; Mithäftlinge schmuggelten

Mutig die Wahrheit unter der Achsel ins Freie.

 

Löwenfrauen lassen sich nicht einlullen

Wie ausländische Delegationen beim Kebab

Auf dem märchenhaften Basar.

 

Lassen sich nicht nachsagen, die katastrophale Lage der

Menschenrechte im Iran, in Afghanistan, im Jemen,

Überhitzt und überspitzt darzustellen.

 

Sie haben eine andere Vision vom Mutterland.

Rohstoffreich das Leben aller bessern.

Friedensreich auf Atombombe gegen Israel verzichten.

 

Aufhören, Terror zu finanzieren

von Hamas und Hisbollah.

Aufhören, Assad, den Mörder seines Volkes, zu stärken.

Aufhören, im Jemen Bürgerkrieg zu schüren.

 

Russland keine Drohnen liefern, die den Tod bringen

Über die Ukraine. Und nicht Know-how, wie man ein

Widerspenstiges Volk knebelt.

 

Wir haben keine Angst, wir Frauen. Angst habt ihr,

Die ihr die Revolution versteinert

und die Freiheit fürchtet -

Wie der Teufel das geweihte Wasser.

 

Im Namen Gottes hat kein Unrecht Platz.

Auf dem Teppich versammelt sich Frieden.

Und der Tisch biegt sich, wenn Gäste kommen.

 

 

© Günther M. Doliwa, 15.5.2023

Neu 

Das Buch im Querformat 21,5 x 15,5 

erscheint im Dezember 2022

kostet 21 Euro plus Versandkosten.

Der schönste Lobpreis auf die geschlechtliche Liebe findet sich im Hohen Lied im Alten Testament der Bibel. Die (zeit-) lose Sammlung von Liebes- und Hochzeitsliedern vereinigt Poesie aus verschiedenen Zeiten.

 

Das Lied der Lieder erfuhr drei Miss-Interpretationen.

1. „Die allegorische Interpretation widerstreitet dem klaren Wortlaut der Lieder.“ (Otto Kaiser, Einführung in das Alte Testament 1978, S.322-327) Um die erotische Vitalität einzudämmen und ihre drastische Schärfe abzumildern, missdeutete man seit dem zweiten christlichen Jahrhundert die Lieder allegorisch: Es handele sich beim Bräutigam um Christus, bei der Braut um die Kirche (Hippolyt) oder um die Einzelseele (seit Origenes) bzw. um Maria (seit Ambrosius). 

 

2. Im 18./19. Jh. sah man im Hohen-Lied ein dramatisches Singspiel oder eine ländlich-idyllische Hirtendichtung.

 

3. Einige sahen darin ein mythologisches Kultdrama, ein Zwiegespräch zwischen dem sterbenden und wieder auf-erstehenden Frühlingsgott Tammuz und seiner Geliebten Ischtar.

Aufgrund des Metrums spricht man von Rollendichtung.

 

Liebeslust-Bejahung

Die leidenschaftliche, heimliche, nicht legitimierte Liebe zwischen Mann und Frau kommt darin drastisch-plastisch, sehnsuchtsvoll-zärtlich zur Sprache.

Das Hohelied zeigt, „daß der Eros weder etwas Göttliches noch etwas Dämonisches ist, sondern im menschlichen Leben sein eigenes Recht besitzt.“ (Kaiser, a.a.O. S.327)

 

Dieses tief-erotische Lieder-Album beschwört und feiert die sinnlich-leibhaftige Liebe im  Wechsel-gespräch/-Gesang Verliebter und Liebender. Liebe verträgt sich weder mit leibfeindlichem Puritanismus noch mit purer Sexualisierung. Beides wären Verarmungen ihrer aufstrahlenden Schönheit, welche die Kraft hat uns zu verwandeln.

Aktuell

Hans Magnus Enzensberger

HME in Memoriam

 

 

Er verteidigt die Wölfe. Lotet Räume aus

zwischen Widerstand, Mitmachen und Weglaufen.

Tumult wird beobachtet vom Fenster aus.

Fluchten hat er gepflegt kultiviert.

 

Es legte es stets auf Unangreifbarkeit an.

Mit einem untrüglichen Sinn für Details.

Sein Trick ist der Leichtsinn der Liebe.

Alles schweben zu lassen wie ein Jongleur.

 

Sein Wappentier ist der Mauersegler.

So segelt er durch die literarische Welt.

Jenseits der Masken keine Gewissensbisse.

Er schreibt überaus gerissen.

 

Wogen verschwappt, Hoffnung verkappt,

Träume verklappt. Vor Glück

Fast übergeschnappt. Auf Dauer

Nie richtig dabei. Es regnet atemberaubend.

 

22.11.2018

GEH, WOHIN DEIN HERZ DICH ZIEHT

Erfahrungen von Leere und Fülle

 

Heute haben wir – und mit diesem Beitrag verabschiede ich mich als Sonntagsbriefschreiber - ein schönes Kontrastprogramm vor uns, ein Spitzenspiel zwischen dem Meister des Mangel-Blicks (dem Prediger/Kohelet) und dem Meister des Fülle-Blicks (Jesus). Beim erstgenannten Prediger sind alle Antworten sozusagen „Blowin‘ in The Wind…“ (Bob Dylan). Alles hat seine Zeit. Alles Strampeln sei für die Katz.  „So viele Träume, so viel Nichtigkeit - Haschen nach dem Wind.“ (Koh 5,6)

 

Bedrückte ohne Tröster Tränen ohne Trost

Reichtum ohne Frieden Besitz ohne Behalten

Unrast ohne Muße Plappern ohne Weisheit

Urteil ohne Maß Faustrecht ohne Recht

Mühe ohne Ruhm Planen ohne Glück

Gaffen ohne Fühlen Versprechen ohne Halt

Vermögen ohne Erben Erbschaft ohne Anstand

Tische ohne Gäste Sattheit ohne Schlaf

Leben ohne Güte Gärten ohne Baum

Anfang ohne Ende Unglück ohne Wende

Unrecht ohne Folgen – und alle trifft dasselbe Geschick

Was rät der Prediger Zeitgenossen?

Besser ist Weisheit als Kriegsgerät (9,18)

Iss fröhlich, trinke wohlgemut (bevor’ s für dich ein andrer tut!)

Trag weiß, trag bunt und mach dich schön

Genieß das Leben mit dem, den du liebst

Tu du ganz, was du zu tun vermagst

Sei guter Dinge, egal was blüht

Bann den Ärger fest aus dem Sinn

Halt Böses fern von Anbeginn

Geh, wohin dein Herz dich zieht (11,9)

Besser ist’s, sich bei all seinem Tun zu freu‘ n

 

Welt und Mensch im Mangelzustand (theologischer Schlüsselbegriff: Erbsünde; Erfinder: Augustinus; über Luther tief ins evangelische Bewusstsein eingedrungen). Immer fehlt was ohne das andere. Der Himmel als eigentliche Heimat? Wir seien nur „Gast auf Erden“ (betonen auch russisch-orthodoxe Prediger). Was heißt hier „nur“? Das Gastrecht auf Erden vom Ende her aufzufassen und es somit gering zu achten, wäre Selbst-Entwurzelung vor der Zeit, die uns geschenkt ist. Weltflüchter, die Jesus in eine lebensfeindliche Norm pressen wollen, halten uns gerne Tugendkataloge vor die Nase. Als ob man damit dem Leben gerecht werden könnte. Töte das Irdische: Unreinheit, Leidenschaft, Begierde, Habsucht, Lüge, Götzendienst… was immer das unter damaligen Vorzeichen meinen sollte. Arthur Schopenhauer kommt zum Schluss: „was einer für sich selber ist, was ihn in die Einsamkeit begleitet und was ihm keiner geben oder nehmen kann, ist offenbar für ihn wesentlicher, als alles, was er besitzen, oder auch was er in den Augen anderer sein mag.“ (Aphorismen zur Lebensweisheit) Glück liege in Gesundheit und Geistesruhe. Das kommt dem Prediger (Kohelet) sehr nah.

 

Und wie agiert Jesus, „in dem die Fülle wohnt“ (Kol 1,19)? Leib und Leben zu lieben, nicht nur das eigene, ist uns leibhaftig aufgegeben. Jesus ist darin ganz Mensch. Wer meint, Jesus sei zur Welt gekommen, um der Welt zu sagen: Sei nicht! der hat Jesu Dasein (Inkarnation) gründlich missverstanden. Er kam nicht, um aufzuheben, sondern um es mit Leben und Liebe zu erfüllen. Wie er das Denken entrümpelt und öffnet, lesen wir in gleichnishaften Versprechen, in denen sich das Leben erfüllt. Er legt Spuren, indem er im höchsten Maße sensibel ist für Re-sonanz (zurück-tönen). Er bettet Fragen und Normen in Geschichten, die plötzlich aufblühen und tönen wie Menschen, die aufblühen und mittönen – zur Freude des Klang-Schöpfers. Man könnte es „Resonanzglück“ nennen, wenn sie vertrauen und zum Leben finden. Welche Rolle soll Jesus in der Kirche spielen? Was der Meister nicht alles soll! Wie Herkules den Stall, so soll er seine Kirche ausmisten! Meister, sag Franziskus, er soll die Kirche reformieren! Aber noch zu Lebzeiten! Meister, sag Woelki, er soll endlich abhauen aus seinem Amt, dem er nicht gewachsen ist! Meister, sag Kyrill, er soll nicht mit Putin paktieren! Wie korrigierte Franziskus Kyrill? „Bruder, wir sind keine Staatskleriker und dürfen nicht die Sprache der Politik, sondern wir müssen die Sprache Jesu sprechen. Der Patriarch kann sich nicht zum Messdiener Putins machen." (März 2022)

 

Was aber, wenn Machtworte der Mächtigen aufräumen mit der Wortmacht der Sprachgewaltigen? Was, wenn die Welt nicht mehr spricht zu uns, nicht seufzt, nicht schreit, nicht in Liebe berührt, nicht zu Hilfe ruft? Was, wenn Welt uns ausgebrannt zurücklässt? Was, wenn eine liebe Beziehung sprachlos geworden ist? Was, wenn Kirche und ihre vorgebeteten Rituale uns leer ausgehen lassen? Was, wenn Kirche in Stände zerfällt, in Kleriker und Laien? Was, wenn sie reformresistent scheint? Was, wenn die theologische Forschungsdynamik die traditionellen Lehren als unhaltbar erweist und Kirche als „dringend umgestaltbar“ diagnostiziert? Was aber wünscht die Kleriker-Kaste? Evangelisation! Ohren auf Empfang stellen, als wären Menschen nicht auch Sender und Träger von Erfahrungen, die uns berühren, ergreifen, vor Rätsel stellen, herausfordern, anfragen. Da taucht jäh die Frage auf, was man hier noch zu suchen hat. 2021 haben 360.000 Stimmberechtigte allein der katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Sie „kündigen“ gleichsam, weil sie sich der institutionellen Logik widersetzen und suchen ihr Glück draußen. Außerhalb der Kirche ist auch Heil. (Oder will jemand den gegenteiligen Lehrsatz aufrechterhalten!?) Gottes Welt ist groß und resonanzfähig genug. Wenn ein Weltbereich uns nichts mehr zu sagen hat, müssen wir weggehen, um nicht unsere Stimme zu verlieren. Gehen ist eine Stimmabgabe. Die Stimme brauchen wir, um selber antwortfähig zu sein. Wenn all diese Austritte der Kirchenleitung nichts sagen, darf man von „Resonanzkatastrophe“ sprechen. Menschen müssen erwarten dürfen, selbst wirksam zu sein, Welt zu berühren, etwas zu erreichen, sich und die Welt ein Stück zu transformieren. Ohne Selbstwirksamkeitsperspektive, keine gemeinsame Gegenwart. (Vgl. dazu Hartmut Rosa, Resonanz)

 

Worin besteht also Reichtum? In Antwortbeziehungen (Resonanz) leben, ist Reichtum. Die Welt für Interessen zu instrumentalisieren, verarmt uns und bringt Welt zum Verstummen durch Wachstumszwang, Beschleunigung, Ressourcenfixierung. Der Gegenbegriff ist Entfremdung, Verweigern einer Welt-Beziehung, erfahrbar in Psychokrisen: Erschöpfung, Angst, Burnout, Depression. Resonanz und Entfremdung sind (nach H. Rosa) in dialektischer Beziehung. Räume, in denen keine Antwortbeziehungen mehr möglich sind (oder scheinen), laden gleichsam aus. Wird die Eigenschwingung der Beteiligten gedämpft, gar unterdrückt (Gehorsam, Schweigen aus Angst vor Repression), und werden Stimmen unhörbar gemacht (durch Ächtung, Gefängnis, Niederschlagung von Protest), dann stehen sich Subjekt und Welt starr und stur gegenüber (Putins extrem langer Distanz-Tisch als Symbol). Um das Unverfügbare zu erzwingen, werden Wahrheitsmonopole errichtet. Das Volk wird zum Empfänger von Deutungen. Für Patriotismus um jeden Preis liegen Gewaltexzesse im Bereich des Möglichen. So stumpft der Geist ab. Wo kommt dann der frische Wind der Veränderung her?

 

Wie reagiert Jesus auf Festgefahrenes? Er tritt höchst streitbar für das Leben ein. Er zertrümmert Egoismus und Legalismus. Er versprüht frischen Geist. Er vertuscht nicht, schützt Täter nicht, hat einen Blick für Opfer, (nicht für deren angebliche „Sünden“). Er konfrontiert Tradition mit Empathie. Er wickelt Antworten in Geschichten ein. Jesus erfindet meisterhaft poetische Gleichnisse, die anregen, selber zu denken. Mensch, bin ich denn Richter? Bin ich denn Jurist und Scheidungsanwalt? Bin ich denn Priester!? Bin ich Schiedsrichter? Bin ich moralischer Grenzlinienverwalter? Jesus fragt, und allein dies sollte allen Zweiflern Aufwind geben, zu ihren Fragen zu stehen: Wer ist mein Nächster? Das gilt auch im Krieg, den sein Bruder „Kain“ anfängt (mit zweifelhaften Gründen). Wie sollte ich nicht dein Hüter sein, Abel!? „Abel steh auf/ damit es anders anfängt/ zwischen uns allen“ (Hilde Domin).

 

Jesus als Meister der Resonanz, der im Begegnen zum Klingen und Schwingen bringt, was die Welt so dringend braucht, stiftet unterwegs (!) an zu Solidarität und Gastfreundschaft. Er distanziert sich von Macht-, Vorteils- und Besitz-Denken. Nachfolge verlangt Abkehr von Sicherheit, vom Horten vergänglicher Schätze (Kohelet). Die Stunde ist nicht in unserer Hand. Jesus findet Halt im wandernden Sternenzelt Gottes. Er gibt sich nicht her, Erwartungen zu bedienen nach Gusto. Er handelt mit Weisheit, lebt die Goldene Regel; sie ist unendlich im Vorteil: denn sie enttäuscht nie. Torheit ist, nichts für alles zu halten, da alles nichts ist. Außer der Fülle, die allerdings ist - unverfügbar.

 

© Günther M. Doliwa - 31.7.2022 – www.doliwa-online.de

<< Neues Textfeld >>

Kraft der Quellen

 

 

Aus welchen Quellen trink ich

Aus welchen Quellen trinkst du

 

Und pulsieren die Quellen frisch

Und sättigen sie den Durst

 

Und verleihen sie mir Kraft

Und führen sie aus der Sucht

 

Und verbinden sie die Wunden

Und verbinden sie mit dem Guten

 

 

Aus welchen Quellen trink ich

Aus welchen Quellen trinkst du

 

Und bringen sie mich in Fluss

Und träumen sie auch vom Meer

 

Und würdigen sie die Ufer

Und umtanzen sie Hindernisse

 

Und halten sie mich auf Kurs

Und lehren sie mich die Balance

 

Und singen sie mir ein Lied

Und bin ich Teil des Refrains

 

Und weisen sie ein ins Glück

Und stimme ich voll überein

 

Und machen sie durstig nach mehr

Und machen sie satt an Liebe

 

Aus solchen Quellen trink ich

Aus solchen Quellen trink auch du

 

 

 

4. Januar 2022

 

Neu im Angebot 2022

Doppel-CD mit 30 Liedern

Best of 33 Years mit Liedtextbuch

Künstler: Norbert Nagel & Andreas Blüml haben die Lieder veredelt

 

D  30 Euro   A  33 Euro   CH 35 Euro

’s ist Krieg! ’s ist Krieg!

Von Günther M. Doliwa

frei nach Matthias Claudius, 1778

 

 

’s ist Krieg! ’s ist Krieg!

Auf dass ein Land sich wehre,
In das der Feind stürmt ein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nie gleichgültig zu sein!

Was soll ich tun, wenn tausend Panzer rollen,
Geschickt aus Großmacht-Wahn?
Dem Geist der Freiheit will ich Achtung zollen,
Denn ihr gehört die Bahn.

Wenn Menschen panisch in die Keller fliehen,
Denn droben droht der Tod.
Im Anschlag auf ein Volk sie überziehen
Ein Land mit Mord und Not.


Wenn Wahrheit nicht mehr gilt, nur lockt die Beute,
Zwingt Krieg den Willen auf.
Nun alle elend, alle arme Leute.
Krieg nimmt viel Leid in Kauf.


Wenn einer ausheckt Operationen,
Beherrscht vom Ring der Macht,
Kalt und besessen von Illusionen,

In seiner Welt ist Nacht.

Was hilft dir Macht und Land und Schein und Ehre?
Leben hat jeder eins!
’s ist leider Krieg – und ich beschwöre
Das Friedenseinmaleins!

 

Hubertus Halbfas (1932-2022) 

Der Wein ist schon im Keller

In Memoriam - Von Günther M. Doliwa

 

Vor allem sich selbst ist er treu. Konsequent setzt er um, was er einmal schmerzhaft erkannt hat. Nimmt er den Glaubensverlust wahr, kann ihn nichts davon abbringen, eine radikale Kurs-Korrektur vorzunehmen, vor der die meisten in der Kleriker-Kirche zurückschrecken und lieber „so weiter machen“. Er leistet „Aufklärung und Widerstand“. War er jemals nicht im Abseits!? Immer wenn er seine eigenen wohl durchdachten Deutungen vorbringt, melden sich seine amtlichen Vorgesetzten und treiben ihn in die Häretiker-Ecke. Halbfas spricht in seinen Memoiren von „Herrschaftskirche“ (So bleib doch ja nicht stehn 2015, S.199), bereits im Jahr 1970. Sie sei „in ihrer Rechtsverfassung, Doktrin und Moral ein Werk des Gesetzes“. Er hat erkannt, „dass die bisherige Kleriker-Kirche ein Auslaufmodell ist“ (370). Er verwendet bereits in den 60er Jahren eine „selbstmörderisch-offene Sprache“ (KNA). Damals, um die Studentenrevolte herum. Er scheint mir kühner als Küng gewesen zu sein. Der legte kein großes Wort für ihn ein. Rahner drückt und biegt sich um ihn herum.

Glaube habe stets „welterschließende Funktion“ (195). Aufgaben der Kirche wären: „Not zu lindern und durch tätige Liebe den Geist Jesu zu bezeugen“ – aber in welchen Entwürfen? Das Evangelium sei in babylonischer Gefangenschaft, von wegen Triebkraft für Humanität, Aufklärung und Emanzipation! Reformer unterlägen einem verbissenen Wunschdenken. Es fehlt „eine Revolution in den Köpfen.“ (198)

Die Gottesfrage verlegt er ins Innerste des Menschen. Er verwirft den Dualismus von Diesseits und Jenseits. Was, wenn Gott nicht dies und das, sondern unser tiefstes Wesen wäre!? So fragt er mit den Mystikern wie Eckart. „Der Wein Gottes ist immer schon im Keller.“ (242) Wo die Schönheit Gleichnis ist und Leben zum Leben spricht. Bei Tisch holt der Frieden tief Atem. Von Wurzelwerk und Labyrinth wissen jene nichts, die im Denken stagnieren, Entwicklungen nicht mitvollziehen, lieber dogmatisch hinrichten.

Die Bibel ist nicht mehr das unantastbare heilige Buch der Messe. Erkenntnisse „zwingen zu einer Revision der bisherigen Deutung und Bewertung der Bibel als inspiriertes Wort Gottes, wie es die Liturgie immer noch beansprucht.“ (313) Da sei viel Ungereimtes, Abstoßendes, Unbarmherziges drin. Aber er besteht darauf, dass es „ohne dessen Kenntnis keine kulturelle Kompetenz geben kann.“ (314) „Heute stehen Christen im Dialog mit der Bibel, nicht unter ihrem Diktat.“ (314) Sprache lebt von Erzählweisen, Gattungen, Mustern. Er fragt: Welche Erzählmuster liegen in einem Text vor? Nicht: Für wie heilig müssen wir diesen Text halten? Glaube ist für ihn kein Betriebssystem, da wären seine Inhalte „ausgestopfte Präparate“ (394).

Wo bleiben prophetisches Ungestüm, Anregungskraft, Poesie, Alltagsrelevanz? Um den Formelbestand aufzubrechen, müssten wir: 1. Das mythische Erzählen wiederfinden. 2. Die Lücke im Credo füllen (Jesu Leben). 3. Die vergegenständlichte Rede von Gott überschreiten (keine Diesseits-Jenseits-Spaltung).

Lass Gott um Gotteswillen fahren! Er beklagt den völligen Ausfall innovativer Theologie. (378) Über neue pastorale Räume sagt er: Dahinter steckt der pure Mangel. (371) Es handelt sich um eine Erosion des religiösen Lebens. Der Ansatz beim Pfarrer geht in die Leere, zumal das Begabungsprofil konservativer wird. Zusammenschmelzen von Pfarreien mache Kirche unkonkret. Kirche wird nur noch behauptet. Formel: Kirche weg – Leute weg! Er empfiehlt das Modell Poitiers (S.372f) Der Erzbischof entwickelte 1994-2011 ein Modell für priesterlose Gemeinden: Pro Gemeinde fünf Verantwortliche; Gemeinde wird gebildet, um das Evangelium zu leben. Pfarrer ist abgeschafft, weil sonst die Laien nur Gehilfen bleiben. Dienst ist Aufgabe von allen. Glaube ist primär Praxis. Der idealisierte Blick nach rückwärts genügt nicht. (376)

Vorbei sind die Zeiten von Kirche „als sakral begründeter Herrschaft, in der christliche Freiheit zu Gehorsam werde.“ (385) Der Can.208 (CIC) rede von der Taufwürde, stufe aber ab nach Stand und Geschlecht. Der allgemeine Autoritätsschwund mit Glaubensgehorsam müsse weichen zugunsten mehr Partizipation, die alle Teilnehmer ernst nimmt.

Opulent und monumental seine kommentierte Bibel, astreine Schürfarbeit, alles nah am Puls der Zeit, so glasklar, so unbequem, so „jesuanisch“. Er favorisiert einen Mut, einen Glauben, „der die Kraft gibt, Erschrecken, Unverständnis, Kopfschütteln und Tadel aller, die im Boot sitzen, auszuhalten.“ (Ebd. 97) Nur wer aussteigt aus dem sicheren Boot samt Steuermann und Segel, kann sich selbst erfahren. Der Vorausdenker, Anreger, Vielarbeiter ist erfahren in der Kunst des Kelterns, ein „bleibender Bote“, mit Rilke zu rühmen:

 

„Alles wird Weinberg, alles wird Traube,

in seinem fühlenden Süden gereift.“

 

aus: Günther M. Doliwa, Hätte aber Liebe nicht 2020 S.269ff

Neuerscheinung:

Hiob. Gottesrebell.

Zwei Versionen

Schlüsselfigur

im Umgang mit Krisen

Preis: 15 Euro (D)

 

Zunächst ein Sprechstück:

Ich klage, was mir widerfährt.

Dann eine essayistische Adaption: Hiobs Wiederkehr

 

Das Hör-/Sprechstück kreist um die Sinnkrise des Hiobs mit schrecklicher Bilanz, nachdem er Kinder, Besitz und  Gesundheit verloren hat. Ich habe die  gekürzt und Motive verstärkt.

Hiobs Wiederkehr, der alternative zweite Text, der die Sprecherrollen  aktualisiert, umkreist die Schrecknisse und Umbrüche der Gegenwart und wirft die Gottesfrage unter heutigen Gesichtspunkten auf.

 

Hiob ist eine archaische Figur des leidenden Gerechten.

Hiob heißt und fragt: Wo ist der Vater?

Hiob trifft den Kern jeder Krise mit Wucht.

Hiob ist mein Beitrag zur Angstbewältigung in der Krise.

Hiob ist für mich die exemplarische Figur der Krise, bei der niemand weiß, durch wessen Gefährdung sein Leben in Gefahr kommt.

Hiob stellt sich den Rätseln und rebelliert gegen falsche Gleichungen.

 

Kurzmeditation des Alltags wird zum Gewinn

Rezension von Hermann Häring

Günther Doliwa, Hätte aber die Liebe nicht ‑ Zeichen der Zeit ‑ Anders unterwegs sein, DO‑Verlag, Ostern 2020, 276 Seiten, ISBN 978-3-939258-26-1

 

Das ist ein erfrischendes Buch, genauer: eine wild erfrischende Mischung von ziemlich vielfältigen, immer überraschenden Texten. Günther Doliwa ist ein Meister kleiner Textformen und nachdenklicher Gedichte, aufmunternd und quer-orientiert, fromm und weltverliebt zugleich. Nicht dass ihn oft Fragen von Glauben und Lebenssinn beschäftigen, ist sein besonderes Merkmal, sondern dass er sie nicht in einer muffigen Vergangenheit, vielmehr in der Welt, in menschlichen Abgründen oder mitreißenden Zukunftsphantasien findet:

„Christen müssten Zeitung lesen“ (103).

Wie zufällig versammelt Doliwa seine Texte um bestimmte Orientierungspunkte und sie eignen sich als kleine Erfrischungen zum gelegentlichen Lesen. Da werden etwa Gerechtigkeit, Friede und Liebe, aber auch Weihnachten, Ostern oder Pfingsten zu Wegmarken. Bisweilen taucht ein aufmüpfig umgedichtetes Kirchenlied auf, eine Erinnerung an Greta Thunberg oder ein Loblied auf alles, was eine Trennung bewirkt, was das „christliche Kraftwerk“ ausmacht oder in Zeiten der Corona-Entbehrung möglich wird. Politische und gesellschaftliche Fragen, für den Autor eng mit religiösen verbunden, sind – doppeldeutig wie immer ‑ im Spiel: „Diese Stadt hat / Diese Stadt hat viel / außer einem Bewusstsein für / ihr zweifelhaftes Doppel-leben“ (207). Doch finden sich auch längere Texte, etwa zu Josef mit seiner ägyptischen Erfolgsgeschichte, zum Kreuzweg Jesu oder zu Fragen der Kirchenreform.

Der philosophisch und literarisch Kenntnisreiche widmet, ebenso überraschend, seine Texte bekannten und unbekannten Personen, Hans Küng etwa und Shakespeare, Martin Scorsese und Hanna Arendt, Hubertus Halbfas, Jürgen Habermas und dreißig weiteren Personen; meistens entdeckt er Originelles in ihnen. Ein eindrucksvoller Text gilt den im Mittelmeer Ertrunkenen, andere nehmen biblische Stichworte auf oder denken über Jesu Geschwister nach, einer reduziert das Vaterunser auf seine zentralen Stichworte oder erklärt, was Frieden, Liebe oder unerforschlich ist. Immer wieder taucht die nicht zu erschöpfende Frage auf, wer Jesus war und wie man ihn falsch verstehen kann. Doliwas Antworten lauten meistens anders, als wir es erwarten, zum Beispiel: „Obwohl Jesus nur in den Augen der Opferpriester / Priester war In Wirklichkeit war er / ein Opfer der Priester“ (204). Aus manchen Versen spricht eine übersprudelnde, höchst nachdenkliche Kraft der Sprache: „Auf einem endlichen Planeten sind unendliche / Wachstumsspiele undenkbar. Die Eskorte rückt ab. / Entzückend, das frei gewordene Feld“ (257). Dort bleibt einem der Atem im Halse stecken, wo sich in einer Nachdichtung der sterbende Knabe des Erlkönigs als das Missbrauchsopfer eines „Sackmenschen“ (170f) entpuppt.

Man lese jeden Morgen, Abend oder in jeder Arbeitspause einen der Texte von meist einer oder zwei Seitenlängen. Manchen mag man dann gerne wiederholen. Doliwa macht auch den Ungeübten die ungezwungene Kurzmeditation zu einem unaufdringlichen Gewinn. Sollten die Texte den Frommen zu weltlich und den Weltlichen zu fromm sein, dann hätten die Gedanken genau die Situation getroffen, die zum kreativen Weiterdenken verlockt.

Letzte Änderung: 3. Juni 2020

Hätte aber Liebe nicht. Zeichen der Zeit.

Von Günther M. Doliwa,

Erscheint an Ostern 2020, 276 S.

10 Farbbilder

Preis: 20 Euro

 

 

Vielleicht ist es das BUCH DER STUNDE.

Ein Trostbuch, das Zuversicht verbreitet; welches  davon befreit, sich in Schuld und Sünden zu suhlen.

Ein Schöpfrad, das aus Liedern und (eigenen) Psalmen zu schlürfen gibt. Es fängt das Leben in seiner Buntheit ein. Der christliche Impuls wird frei gelegt in seiner ursprünglichen Vitalität. Gerade in Corona-Zeiten kann es die Tage erheitern. Das aktuelle Gedicht: Vorsicht Ansteckungsgefahr! kann man auch positiv wenden. Wir lernen Relevanzen zu verschieben. Im Gedicht Mittelfeld steht die nachdenkliche Diagnose:

 

„Da weißt du, dass Ordnungen fragil/ und Menschen aggressiv sind/ hältst du Ratlosigkeit wie ein Fieber aus/ schickst du den Sarkasmus in die Schule des/ Leicht-Sinns ohne leichtsinnig zu sein/ kommst du mit Abgehängten ins Gespräch/ korrigierst du die Hierarchie der Prioritäten/ da fächelt einem die Weisheit Kühlung zu// Und du hast Zeit dich zu fragen/ Was du fühlst Was du denkst/ Was du eigentlich möchtest/ Welches Leben du auf Dauer führen willst/ Was für eine unbändige Kraft dein Wille ist/ Welche Freiheit Vergebung gewährt/ Welcher Schatz unter deiner Angst begraben liegt/ Was geschieht, wenn wir das Unbehagen verlieren// Vor allem erfährst du/ wie bereichernd/ und beglückend es ist/ kreativ zu sein/ in einem einfallsreichen Universum/ dem immerhin// auch DU/ eingefallen bist“ (S.255)

 

Das Buch ist im Übrigen ein Gang durch die christlichen Hochfeste: Weihnachten, Ostern, Pfingsten. Auf das 2020 stornierte Ostern muss man mit diesem Buch in der Hand nicht verzichten. Die insgesamt 144 Texte umkreisen zentrale Themen: Zeichen der Zeit. Sie laden ein zu einem anderen Unterwegs-sein. Es ist ein Aufruf zum solidarischen Miteinander. Es lädt ein, Schritte zu machen Richtung: Gerechtigkeit, Frieden, Liebe, Bewahrung der Schöpfung, Freiheit. Es ist ein Wegweiser der Botschaft, die sich anschickt (friedliches Begeisterungs-) Feuer auf die Erde zu werfen.

 

Man begegnet darin Künstlern und Dichtern, Filmemachern und Philosophen. Von Goethe bis Enzensberger, von Barlach bis Heller, von Kafka bis Scorsese, von Hannah Arendt bis Simone Weil. Große Theologen wie Drewermann, Halbfas und Küng werden gewürdigt.

Das Buch entfaltet, was zur Entfaltung hilft.

 

 

Günther M. Doliwa, Herzogenaurach, den 24.3.2020

 

Ab sofort zu bestellen: guentherdoliwa@herzovision.de

CORONA-NOTIZEN   

Eine Analyse der Krise

14. Mai 2020, am Namenstag der Hl. Corona (!)

von Günther M. Doliwa

 

Eine Seuche kann alles umwälzen. Die schweizerisch-US-amerikanische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004) entwickelte aus der Sterbebegleitung ein 5-Stufenmodell, wie Sterbende und Trauernde mit Verlust umgehen. Die Hl. Corona, der Legende nach zwischen Spannungen (zwei Palmen) zerrissen, ist das Symbol der Krise.

 

Ausbruch der Pandemie                     

Phase 1 Leugnen, Schock mit Verzögerung

Anpassung                                                                       

Phase 2 Zorn und Bändigung

Ausstieg bzw. Lockerungen                     

Phase des Verhandelns

Verlust und Verzweiflung  

Phase Depression/Selbstaufgabe

 In der Lektüre von Thomas Manns Josephs-Roman stößt man auf eine Reihe von archetypischen Motiven, die vielleicht helfen können zu begreifen, was in der gegenwärtigen Krise vor unseren staunenden Augen geschieht.

  • Die Heimsuchung durch den Einbruch des Geheimnisvollen, der alles auf den Kopf stellt;
  • Das Verhältnis von Macht und Angst;
  • Die Spannung von Norm und Leidenschaft: Im Lockdown verboten oder ins Häusliche verbannt.
  • Die Stilllegung, ja der symbolische Tod des öffentlichen Lebens.
  • Darf man Lockerung vielleicht verstehen als Wieder-auferstehungsmotiv?

Ausblick    

Phase von Akzeptanz und Bewältigung

 

Krisen sind Chancen

Nummer 1: Wirklichkeit neu sehen!

Als erstes wäre das heutige Herrschaftsverhältnis zur Natur zu demaskieren als irriges Weltverständnis. Der Einsatz für die Erhaltung des Lebens wäre keine Zeit=Geld-Verschwendung, sondern im ureigensten Sinn dynamischer, atmender Beziehungen. Bei allem Respekt für die Leistungen der Wissenschaften: Wirklichkeit ist voller Paradoxe, Überraschungen und mit reichlich Raum für das Unvorhersehbare. Sprünge sind möglich. Eine andere Welt ist denkbar.

Nummer 2: Gewohnheiten überprüfen..Neue einüben. Wenn sozusagen über Nacht nicht mehr klar ist, was eigentlich normal ist, und vertraute Arbeits-, Freizeit, Urlaubs-, Konsum-Gewohnheiten in Frage stehen, offenbart sich ein Potenzial rascher Veränderungen.  „In diesem Sinne haben wir die Kleinlichkeit unseres Eigeninteresses zu überwinden und Empathievermögen für alles Sein zu entwickeln.“ (Bruno Kern, Theologie der Befreiung Tübingen/Basel 2013, S. 113)

Nummer 3: Globale Solidarität als Hoffnungsspritze. Jenseits aller berechtigten Verzweiflung erhält das vorwärts gerichtete Engagement einen Hoffnungshorizont.

Fazit: Der gemeinsame Durchgang durch diese globale Krise, anhand der fünf Phasen der Trauerbewältigung nach Kübler-Ross, kann sich noch als äußerst fruchtbare Weck-Erfahrung erweisen, die Menschheit zum Umdenken und Anders-handeln zu bewegen. Mit gesundem (Selbst-)Wertgefühl und mit dem religiösen Anker der Hoffnung kapitulieren wir nicht vor Sterben und Tod.

Hl. Corona, sei Dank!

 

© Günther M. Doliwa 14. Mai.2020

Zur Corona-Krise

Von der Hoffnung (wieder) aufzuatmen

Zur Corona-Krise von Günther M. Doliwa,

20. März 2020

 

Alarmglocken

Corona der Schöpfung - also Krone – nennt man den Menschen, nennt man jetzt die Gefahr.

Allein die Hellziffern alarmieren die ganze Welt. Mit ihm verbreitet sich rasend der Virus der Angst. Man weiß nicht was schlimmer ist. Die Zahl der Infizierten in China in Europa steigt stündlich. Die Epidemie wird zur Pandemie. Die ersten Corona-Toten alarmieren Regierungen. Die handeln nervös. Neben Ministern sitzen Virologen Im Nu kennt sie das TV-Publikum. Das Robert Koch Institut erlangt Weltgeltung. Notwehrwitze kursieren auf Klopapierniveau. Wir witzeln das vermaledeite Virus nicht weg, machen Einschränkungen aber erträglicher. Im Jahr sterben 900.000 Menschen, an der Grippe im Frühjahr etwa 20.000. Covid 19 scheint gefährlicher zu sein. Die Angst vor Atemnot und Tod ist berechtigt, treibt aber teils bizarre Blüten. Auf Leben und Tod ist Thema. Das Leben hat Vorfahrt, auch wenn es paradoxerweise radikal verlangsamt wird.

 

Still-Leben

Es ist, als ob man dem System den Stecker gezogen hätte. Im Sturzflug befindet sich das Vertrauen. Das ganze öffentliche Leben verschwindet von heute auf morgen. Wie angehalten, das Leben, der Puls, der Atem in den Städten, in der Luft, in Fabriken, in Ausstellungshallen, in Kinos und Kulturstätten. Schulen zu. Kitas zu. Not-Pläne laufen an.

Der Staat sichert sich mit Berufung auf Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes Durchgriffsbefugnisse, um dem Chaos zuvorzukommen. Ohne seine Versäumnisse im Gesundheitswesen zu erwähnen. Die Kanzlerin ruft auf, Kontakte weitestgehend einzustellen. Ein paradoxes Experiment auf unbestimmt, mit ungewissem Ausgang. Verzichtbar sind plötzlich: Bildung, Kultur, Unterhaltung, Freizeitangebote, Profi-Sport. Offenbar einzig unverzichtbar sind: Wirtschaft, Grundversorgung, Banken, Konsum. Einschränkbar Freiheitsrechte. Wir werden in die Wohnungen verbannt. Depression macht sich breit; Fatalismus, teils Panik bei Vorratskäufen. Die Entschlossenen handeln drastisch, nehmen 500 Milliarden Steuergeld (im Bund) in die desinfizierte Hand und verkünden: Die Lage sei ernst. Nehmt es alle ernst! Es werde vermutlich noch dramatischer kommen. Notfalls übernimmt der Staat anteilig Firmen. Auf sonst stau-gewohnten Ringstraßen gähnt zur Stoßzeit Leere. Sehenswürdigkeiten liegen frei. Schockierende Leere in Rom. Dafür Schlangen vor Supermärkten und Apotheken. Im Modus der Vorsorge wie fixiert auf das Eigene. Gesegnet seien die leisen Kommunikationsmittel: Telefonieren, Skypen, Video-konferenzen & Videoanrufe. Filme laufen via Streaming-Dienst. Kontakt geht. Eine wohltuende Stille herrscht in den Städten. Abgesehen von Balkonmusik, beklatscht und beliebt in Italien, in Österreich grantelt man eher. So unterschiedlich sind Mentalitäten.

Wir sind Gefangene des Katastrophenfalls auf unbestimmt. Mitgefangene in Quarantäne und Hausarrest. Wir sind Geiseln der Pandemie.

 

Aussetzen

So heißt die Devise, um die Exponentialkurven der Infektion abzuflachen. Ab sofort wird öffentlich-soziales Leben abgewürgt, um Leben zu retten. Gesundheit um jeden Preis? Dem Virus trotzen mit den Waffen der Staatsmacht? Nichts ist mehr tabu. Desaströse Wirtschaftsdaten in China. Produktionseinbrüche lassen Rezessionen ahnen. Börsen im Crash-Modus. Helikoptergeld direkt an Bürger?

Läden zu. Umsätze weg. Minijobber, kleine Unternehmen fürchten um ihre Existenz. Pleiten in Massen drohen. Spielbetrieb-Ausfall im Profi-Fußball wie im Science-Fiction-Film. Die EM ist verschoben wie alle Großevents. Verschoben ist nicht aufgehoben.

Wo bleibt die angstmindernde Kommunikation im Feuerwerk des Wahnsinns? Wie lange dauert der freiwillige Freiheitsverzicht, der weit über ein willkommenes Fasten hinausgeht?

 

Beinahe-Verstummen der Kirchen

Kirchen verstummen, als hätten sie ihre Stimme verloren. Wo teilen sie Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der heutigen Menschen? Wo findet die Angst der pilgernden Menschen Widerhall in ihren heiligen Hallen? Internet hilft. Weihwasser jedenfalls immunisiert nur die Dummen. Überwältigt schließen sie Kirchen, streichen Gottesdienste. Bischöfe halten aus Selbstschutz Video-Ansprachen, haben offenbar nur virtuelle Gnadenschätze auf Lager. Nehmt das auferlegte Fasten als Chance: Leben Sie Hauskirche!

Lasst uns geistliche Kommunion feiern! Säuselt es. Steckt euch um Himmelswillen nicht an! Karwoche Ostern Auferstehung? Ein Hochfest der Christen fällt dem Corona-Virus zum Opfer. Auf Karwoche kann man vielleicht verzichten. Passion für das Leben macht sich breit. Isolierte, die schon lange nicht mehr umarmt werden, sehen wie es allen andern jetzt ebenso ergeht. Denn die sozialen Abstände werden neu vermessen.

Jetzt ist kaum Zeit in den Nachrichten für gestrandete Flüchtlinge, für bittere Armut, für Strukturen der Ausgrenzung, für Syrienbombardements, Umweltkatastrophen und andere Ungerechtigkeiten wie der massiv störenden, trotzdem grassierenden Ungleichverteilung der Güter und Reichtümer der Erde, die allen gehört.

Absurd, genau jetzt, wo die Bischöfe vollends entmündigt sind, zu versuchen im Nachhinein Dispens von der Sonntagspflicht zu erteilen. Da hilft nur noch beten! sagen einige und rufen zu vereinigtem Bittgebet auf. Mit mäßiger Resonanz.

Dabei sind ab sofort alle Zustände und Abstände neu zu vermessen: die Würde auch der Besitzlosen, die Spielräume des Schaffens, die Dimensionen des Gemeinwohls. Alltägliche Apokalypse ist abzuwenden. Der Einschnürung aMini-Radius möge ein Schub zur globalen Lust folgen.

 

Von der Hoffnung aufzuatmen

Da hilft nur Gelassenheit und Solidarität und Reduktion auf das Wesentliche. Da können wir ruhig mal Applaus spenden für die Tausendsassas des Helfens. Da spielt Igor Levit im Netz Bach, Beethovens Diabelli-Variationen, Brahms. Die Staatsoper liefert allabendlich gratis Konzerte ins Haus. Künstler geben kostenlose Konzerte gegen die Einsamkeit, um zu trösten. Der kroatische Cellist Hauser spielt Leonhard Cohens Halleluja vor Bergkulisse. Bamberger grüßen Italien mit Bella Ciao von Balkonen aus. Kunst ist es wahrlich, in der Krise sich nicht von Angst überwältigen zu lassen; keinem Fatalismus Raum zu geben, keine Überdosis zumindest; rechtes Maß und Mitte zu halten, abzuwägen, was im Moment den schwächsten Gliedern nützt. Corona-Partys jedenfalls nachweislich nicht.

Nicht alles ist abgesagt: Sonne, Mitteilung, Nachrichten, Fantasie, Zuwendung, Anteil nehmen, ein Buch Lesen, zur Ruhe kommen, Zeit für die Familie, Solidarität, Aufmerksamkeit, Vorsicht und Rücksicht und Zuversicht und was nicht sonst noch alles…

Aufwartet der Frühling mit prallem Auferstehungsgelb. Die Luft atmet auf. Atmet auf. Atmet auf. Keine Kreuzfahrtschiffe bollern durch Venedig. Schwäne kehren zurück in die Lagune; im geklärten Wasser tummeln sich Fische. Seltene Bilder. Von Buddhisten ist zu hören: Akzeptiere den Wandel Das Virus ruft in Erinnerung: Alles ist mit allem verbunden, im Guten wie im Schlechten. Alles Schlechte hat auch Gutes. Dreh die Medaille.

 

Eine Hymne auf den aufgeklarten Himmel über allen nun smogfreien Metropolen.

Eine Fotoserie des Klinikpersonals & aller seit langem unterbe-zahlten Pflegekräfte, die trotz Notstand arbeiten weit über die Belastungsgrenzen hinaus.

Eine Wohnzimmer-Laola-Welle für das Schweigen der Ultras in den Stadien.

Einen Schiedsrichterpfiff gegen Hamsterkäufe.

Einen Sonderpreis für die rastlosen Zustelldienste, Lieferanten und Lkw-Fahrer.

Einen satten Extralohn für alle, die das Ganze solidarisch am Laufen halten.

Einen Prachtband aller Sehenswürdigkeiten der Erde ohne Selfie-Touristen.

Einen Tusch für die farbigen Frühlingsüberraschungen.

Eine Sonderführung durch den von Panik unbeeindruckten Garten.

Einen Applaus für jene, die uns aufheitern mit Notwehr-Witzen und Karikaturen.

Standing Ovations für die Künstler der Gratiskonzerte.

Ein Bravo für die Neuordnung der unbedachten Abstände.

Eine Rehabilitierung der entgifteten Sozialen Medien.

Einen Nobelpreis für die Forscher, die das Virus besiegen helfen.

 

Die Zwangspause lehrt Revolutionäres. Es geht grundsätzlich auf einen Schlag anders. Wenn politischer Wille da ist. Im Namen des Klimaschutzes, der Gesundheit, des Gemeinwohls. Im Namen der Familie, der Geringsten und im Namen einer Zivilisation gegenseitiger Achtung. Mensch, atme auf, atme auf, atme auf…

Wahrhaft unverzichtbar ist der Virus der Hoffnung, von dem sich guten Gewissens sagen lässt: Ohne ihn fehlt allen Nicht-Infizierten etwas.

 

© Günther M. Doliwa, Autor, Künstler, Theologe / Herzogenaurach

Frühlingsanfang, 21. März 2020

www.doliwa-online.de

Was als Liebesbrief beginnt, endet in Missvergnügen

Mit der Frühlingskraft des Geistes klerikalen Zynismus überwinden

Zu Querida Amazonia von Papst Franziskus -

von Günther M. Doliwa, 29. 02. 2020

 

„Querida Amazonia“ von Papst Franziskus, vom 02.02.2020, ist in erster Linie eine poetische Liebeserklärung an Amazonien. Darin unterbreitet er, garniert mit Volksdichtung, eine kontemplative und prophetische Sicht auf Amazonien. „Das geliebte Amazonien steht vor der Welt mit all seiner Pracht, seiner Tragik und seinem Geheimnis.“ (1) Da stimmt ein Träumer ein visionäres Loblied an auf Brüderlichkeit (!) und Solidarität. Er will „die Weltkirche herausfordern.“ (77) Franziskus breitet vier Visionen vor uns aus: Eine soziale, eine kulturelle, eine ökologische und eine kirchliche. Die ersten drei tragen deutlich seine Handschrift, die vierte allerdings könnte auch von einem strukturkonservativen Kurien-Vertreter geschrieben sein. Die ersten drei Visionen sind vorwärts-gewandt, fordern heraus, den Blickwinkel der Allerärmsten und Vergessenen einzunehmen. Die vierte dogmatische „Vision“ ist keine Vision, sondern rückwärtsgewandt, status-quo-orientiert, das glatte Gegenteil einer Vision: nämlich eine Blockade von Visionen. Vorne dominiert die lateinamerikanische, hinten die jesuitische Handschrift, mit konservativem Stil. Die Spannung zwischen Welt und Kirche bleibt unaufgelöst. Das versöhnt nur Traditionalisten. Das (ver-)stört Reformkräfte und belastet den „Synodalen Weg“. Ironie: Ausgerechnet dem höchsten Kirchenvertreter gelingt keine kirchliche Vision! Sie kann als „Dokument der Angst“ (M. Drobinski, SZ 13.2.2020) gelesen werden. Solange am alten System von formaler Hierarchie, exklusiver Männerweihe, Frauenausschluss festgehalten wird, muss eine Erneuerung der Kirche scheitern. Wie also das Papstschreiben würdigen, ohne es aus Enttäuschung gleich ganz zu verwerfen wegen offensichtlicher Schwächen?

 

Die Visionen

1. Die Soziale Vision (8-27):

Wir sollten aus Gerechtigkeitssinn „den Schrei der Ärmsten und der Erde hören“. „Man muss sich empören, so wie Mose zornig wurde (vgl. Ex 11,8), so wie Jesus zürnte (vgl. Mk 3,5)“ (15) und um Vergebung bitten wegen der kirchlichen Verstrickungen. Franziskus will eine prophetische Kirche. Heutzutage müsse Kirche unzweideutig ihre prophetische Rolle“ wahrnehmen“ (19). Hier bestärkt der Papst eine gesunde Empörungslinie. „Die Ungleichheit der Macht ist enorm; die Schwachen haben keine Mittel, um sich zu verteidigen, während der Sieger weiter alles fortträgt.“ (13) Globalisierung verwende „Mittel bar jeder Ethik“(14). „Dazu gehören Sanktionen gegen Proteste und sogar die Ermordung der Indigenen, die sich den Projekten entgegenstellen, die Brandstiftung in den Wäldern oder die Bestechung von Politikern und Indigenen selbst. Dies wird von schweren Menschenrechtsverletzungen und von neuen Arten der Sklaverei vor allem gegenüber den Frauen begleitet wie auch von der Plage des Rauschgifthandels, der die Indigenen zu unterwerfen sucht, oder vom Menschenhandel“ (14). Die Geringsten seien für die Kirche die Hauptgesprächspartner.

 

2. Die kulturelle Vision (28-40):

Franziskus warnt vor der Gefahr, den kulturellen Reichtum zu verlieren. Entwurzelte bräuchten „die Nabelschnur“ eigener Geschichten, um zu überleben. Amazonien sei „Quelle künstlerischer, literarischer, musikalischer und kultureller Inspiration geworden.“ (35) Poesie hilft, kontemplativ zu werden. Wie kein Papst vor ihm nutzt Franziskus ihren Reichtum. Man müsse seine Wurzeln lieben als „Bezugspunkt, der uns erlaubt, zu wachsen und auf die neuen Herausforderungen zu antworten“. Es sei „nötig, sich die Perspektive der Rechte der Völker und Kulturen anzueignen“ (40).

 

3. Die ökologische Vision (41-60)

„Die Natur missbrauchen bedeutet, die Vorfahren, die Brüder und Schwestern, die Schöpfung und den Schöpfer zu missbrauchen und dadurch die Zukunft aufs Spiel zu setzen.“ (42) „In Amazonien ist das Wasser König“ (43), und auch wir „sind Wasser, Luft, Erde und Leben der von Gott geschaffenen Umwelt. Deshalb bitten wir, dass die Misshandlung und Ausbeutung von Mutter Erde aufhören.

Die Erde blutet und ist am Ausbluten, die multinationalen Konzerne haben die Adern unserer Mutter Erde aufgeschnitten.“ (42) Von Diversität geprägte Biome wie Amazonien, Kongo, Borneo seien unverzichtbar. „Das Gleichgewicht des Planeten hängt auch von der Gesundheit Amazoniens ab.“ Es liest sich wie eine Warnung: „Wenn der Wald abgeholzt wird, ist er nicht zu ersetzen“. Die Interessen weniger mächtiger Unternehmen, die zerstören und verschmutzen, niemals zufrieden mit dem Profit, dürften nicht über das Wohl Amazoniens und der gesamten Menschheit gestellt werden. (48) „Es wird keine gesunde und nachhaltige Ökologie geben, die fähig ist, etwas zu verändern, wenn die Personen sich nicht ändern, wenn man sie nicht dazu anspornt, einen anderen Lebensstil anzunehmen, der weniger unersättlich ist, ruhiger, respektvoller, weniger ängstlich besorgt und brüderlicher ist.“ (58) „Versessenheit auf einen konsumorientierten Lebensstil kann – vor allem, wenn nur einige wenige ihn pflegen können – nur Gewalt und gegenseitige Zerstörung auslösen.“ (59)

Hier verdeutlicht der Papst, was er in seiner bahnbrechenden Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ begonnen hat. „Die Kirche wünscht mit ihrer langen geistlichen Erfahrung, mit ihrem erneuerten Bewusstsein über den Wert der Schöpfung, mit ihrer Sorge um die Gerechtigkeit, mit ihrer Option für die Geringsten, mit ihrer erzieherischen Tradition und ihrer Geschichte der Inkarnation in so verschiedene Kulturen auf der ganzen Welt ebenso ihren Beitrag zur Bewahrung Amazoniens und zu seinem Wachstum zu leisten.“ (60) Jetzt ist man gespannt, welche gewünschte Kirche das sein kann.

 

4. Eine kirchliche Vision (61-110) Erstarren heißt zerfallen

Hier betreten wir ein Minenfeld katholischer Amts-Vorurteile. Tretmine „Zölibat“, Tretmine „Männerpriestertum“, Tretmine „Hierarchie“, Tretmine „Frauenausschluss“, Tretmine „Wahrheits-Monopol“. Jedes Betreten mutet selbstmörderisch an. Aber kritische „Wühlmäuse“ kennen das Gelände. Und die Minenräumfähigkeiten der ReformerInnen verfeinern sich. Sie werden zielsicherer, argumentativ stärker und angstfreier. 50 Kapitel handeln über Spiritualität, Eucharistie, Sonntagsruhe, Sakramente, kirchliche Ämter, Häufigkeit der Eucharistie, Priesterweihe, Klerus und Laien, Basisgemeinden, Netzwerke und Wandermissionare, als ob es kein Konzil und keine Reformimpulse gegeben hätte. Die Stärke der ersten drei Visionen war das prophetisch-befreiende und samaritanische Element, unterbaut durch die kontemplativ-poetische Dimension. (Siehe Katakomben-Pakt 2019)

Die vierte Vision schwächelt. Und weshalb? Weil sie auf statischen Elementen einer hierarchischen Ordnung aufbaut. Sie verzichtet auf das Prophetische. Strukturkonservative entwerfen Visionen, die angeblich den Schmerz anderer miteinschließen, jedoch ihnen selbst nicht wehtun. Ob Bischöfe eigentlich wissen, was „gutes Leben“ ist? Der Papst führt uns „Christus, den Priester“ vor (78). Und schon ist alles vermasselt, weil es nur noch um Recht und Liturgie geht. Eine Macht, die sich der Entwicklung, dem Leben verweigert und völlig ohne Selbstkritik auf Selbsterhaltung setzt, muss zwangsläufig zynisch werden, weil sämtliche berechtigte Reformanliegen ausgeklammert werden. Weshalb nicht Begriffe nutzen, die das Dilemma jeder Macht beschreiben! Der analytische Begriff „Zynismus“ ist im Sinn des Klassikers von Peter Sloterdijk (Kritik der zynischen Vernunft 1983/2018 S. 399ff) in erster Linie Polemik von oben. Es geht um „die richtige Erfassung der Wahrheit“ (401), wo laut offizieller Seite und „Herrscherwahrheit“ nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Erstickungsmacht der Tradition, die Begreifen vortäuscht, um mit Zynismen aufzuwarten, verdient kräftige Demontagen.

 

Drei klerikale Zynismen, welche die Faktenlage ignorieren:

  1. Es ist zynisch, ohne selbst eine Lösung anzubieten, Gläubige zum Beten aufzufordern für Priesterberufungen, die trotzdem seit Jahrzehnten kontinuierlich sinken oder Bischöfe zu ermahnen, bitte „großzügiger“ Missionare zu entsenden zu den Indigenen, die auf zölibatäre Priester ohnehin keinen Wert legen. Evangelikalen wird das Feld überlassen.
  2. Es ist zynisch zu behaupten: Priesterdienst sei exklusiv männlich! Aus dem Wort, das Fleisch angenommen hat, wird nun die ausschließliche Mannwerdung Gottes als Argument missbraucht. Was dem Priester in besonderer Weise zukomme, was nicht delegierbar sei, liege „im heiligen Sakrament der Weihe begründet, welches ihn Christus, dem Priester, gleichgestaltet.“ Und dieser ausschließliche Charakter, der in den heiligen Weihen empfangen wird, befähige „ihn allein, der Eucharistie vorzustehen“ (87). Das sei bitte nicht als Macht, sondern als Dienst zu verstehen. „Deshalb kann nur er sagen: „Das ist mein Leib“. (88) „Jesus Christus zeigt sich als der Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt eines Mannes, der ihr vorsteht als Zeichen des einen Priesters.“ (101) Seit wann sind Analogien Gesetzesvorlagen? Aus Kult-Priestertum wird Priester-Kult. Mystifiziert und wesensmäßig abgehoben. Der Schaden der Klerikalisierung (Überhöhung) liegt offen zutage.
  3. Es ist zynisch, wenn ausgerechnet Klerikale Frauen vor „Klerikalisierung“ (94) warnen, bereits vor jedem Erreichen der Weihefähigkeit. „Die Frauen leisten ihren Beitrag zur Kirche auf ihre eigene Weise und indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben. (101) Armer Franziskus! Was für ein armseliges Frauenbild! Da haben hochgelobte Frauen zwar „Kraft und Gaben“, folglich eine wichtige Rolle, aber keinen Status in der Kirche. Dagegen stehen Frauen auf. Weil dieses prekäre Lehr-Bewusstsein sich im Stand der Wahrheit fühlt, muss es zu zynischen Worten greifen, um Änderungswünsche als unangemessene Provokationen und Missverständnisse abzuwehren. Das Lehramt wird defensiv. Schon im Ansatz scheitert jeder Versuch, prophetisch-visionär zu werden. Die Chance, Institutionslogik durch das Evangelium zu befreien, ist verpasst.  

Klerikalen Zynismus,  Selbstblockade überwinden

Jesus ist Machtkritik par excellence. Er entzieht der Machtversuchung allen Reiz: Bei euch soll es nicht so sein! Was berechtigt die Kirche nach Orwell’ scher Art einzuführen: Alle sind gleich (Gal 3,28), nur manche sind gleicher? Wie will eine monarchisch erstarrte Kirche einlösen, wozu sie selbst vom Evangelium her beauftragt ist? Weshalb ist die kirchliche Vision so mutlos geraten (Bischof Kräutler)? Hat Franziskus sich arrangiert mit einer reform-feindlichen Umgebung von Traditionalisten? Sein Vor-Papst, der nach seinem Abgang Schweigen gelobt, fällt ihm zur Unzeit ins Wort. Sein geschasster Protokoll-Chef war nicht frei von Verstrickung und Ränkespiel. Oder liegt im visionären Spiel mit „Amazonien“ eine letzte argentinische List vor gegen die Übermacht der Traditionalisten? Lieber wäre ein wagemutiger Petrus, kein vager. Er delegiert den Mut an andere. Ein wirklich kühner Papst müsste seine Überzeugungen selbstkritisch auf sich und die römisch-katholische Kirche anwenden, dann käme endlich Bewegung in die „unbewegliche Kirche“ (M. Marzano). Die schickt ihre Mitglieder gern auf lange Wege. Die Kirche hört nicht auf, sich was vorzumachen. Überkommene Formeln trösten nicht.

Seine Vision ist eingeklemmt in das kirchliche Gesetzbuch (CIC). Franziskus verfehlt es Hoffnung zu geben. Wir stoßen hier auf das Grundproblem einer Selbstblockade in der so nötigen Selbstbefreiung aus angemaßter Unfehlbarkeit, selbst-verschuldeter Unmündigkeit und Unglaubwürdigkeit. Der lebendige Geist wird gestutzt und nicht beflügelt. Buchstabe lähmt Geist. Damit bleibt die Würdenträger-Hierarchie in ihrer Sackgasse, in „Stagnation“ (69). Eine Kirche der Weglosigkeit wäre eine ausweglose Kirche. Systemblindheit hindert die Befangenen, echte Lösungen zu suchen. Würdenträger könnten zum Vorteil aller Wissensträger befragen, könnten das Misserfolgsmuster festgefahrener Hierarchien verwerfen, die Kompetenz im Volk zu Wort und zum Zug kommen lassen. Ich werde in Eulenspiegelmanier einige wegweisende Aspekte nutzen und in Anschlag bringen, um die verunglückte Vision nachzurüsten, die darunter leidet, in Selbstwidersprüchen stecken zu bleiben.

 

Wer könnte atmen ohne Hoffnung“!?

  • Wir sitzen „gemeinsam am Tisch der Hoffnung.“ (37) Dialog bereichert.
  • In Beziehungen gibt es „keine Rechtfertigung mehr für hierarchische Machtausübung“ (38).
  • Unverzichtbar für die Menschheit ist Amazonien (48) – (nicht der Zölibat! wäre zu ergänzen).
  • Um Amtsträger zur Pflicht anzuhalten, ist der „Einsatz legitimer Druckmittel“ erlaubt. (50)
  • Es steht allen Gläubigen zu, „vollständige und transparente Information über die Projekte, ihre Tragweite, ihre Auswirkungen und Risiken zu erhalten, damit sie die Informationen mit ihren Interessen und ihrer eigenen Ortskenntnis abwägen können und so ihre Zustimmung geben oder verweigern beziehungsweise Alternativen vorschlagen können.“ (51)
  • Daher sollten wir alle auf der Dringlichkeit beharren, „ein Rechtssystem zu schaffen“ (52).
  • „Ausweichende Haltung“ legt sich die Dinge und Probleme zurecht und „versucht, sie nicht zu sehen, kämpft, um sie nicht anzuerkennen, schiebt die wichtigen Entscheidungen auf und handelt, als ob nichts passieren werde.“ (53)
  • „Es wäre traurig, wenn sie (die Gläubigen) von uns nur eine Sammlung von Lehrsätzen oder Moralvorschriften erhielten“ (63).
  • „Kirche hat ein vielgestaltiges Gesicht“ (66). Dies stellt keine Bedrohung dar. Es wäre eintönig, eine bestimmte Kulturform durchsetzen zu wollen, so schön und alt sie auch sein mag“ (69). 
  • Kirche „setzt (-) sich stets von Neuem mit ihrer eigenen Identität auseinander, indem sie auf die Menschen, die Wirklichkeiten und die Geschichten des jeweiligen Gebietes hört und mit ihnen in einen Dialog tritt.“ (66)
  • Was wenn die Kirche „sich weigert zu empfangen, was der Geist bereits…gesät hat?“ (68)
  • Ohne Neuheit des Geistes „enden wir als Beobachter einer sterilen Stagnation der Kirche“. (69)
  • „Lasst uns furchtlos sein, stutzen wir dem Heiligen Geist nicht die Flügel.“ (69)
  • Inkulturation hat einen sozialen Charakter und muss entschlossen Menschenrechte verteidigen (75).
  • Kirche „erfordert die stabile Präsenz reifer und mit entsprechenden Vollmachten ausgestatteter Laien-Gemeindeleiter“,setzt die Fähigkeit voraus, der Kühnheit des Geistes Raum zu geben … und die Entwicklung einer eigenen kirchlichen Kultur zu ermöglichen, die von Laien geprägt ist.“ (94)
  • Spiritualität nimmt sich nichts an Kraft, Leben, Freude, wenn sie die Welt umarmt. (80)
  • „Wenn wir wirklich glauben, dass dies so ist“, „muss ein Weg gefunden werden.“ (89)
  • „Uns verbindet das neue Gebot, das Jesus uns hinterlassen hat, die Suche nach einer Zivilisation der Liebe, die Leidenschaft für das Reich... Uns eint der Kampf für Frieden und Gerechtigkeit.“ (109)
  • So „ermutige ich alle, auf konkreten Wegen weiterzugehen, die die Realität … verwandeln und … befreien können.“ (111)

 

Ohne Auseinandersetzung führt kein Weg zu einer Vision. Wer den Streit anstrengt, fängt den Konflikt ein. Eine gepflegte Streitkultur arbeitet auf der Höhe der Zeit heraus, was eigentlich genau die Botschaft von Jesu Evangelium ausmacht. Struktur erstarrt ohne Vision. Nachgerüstet mit prophetischem Geist fängt die kirchliche Vision an zu leuchten, frühlingshaft zu blühen, zu vibrieren, ja, zu tanzen. Liebesbriefe fordern Fantasie.

 

29.02.2020

Vom klerikalen Zynismus

zum Verkörpern, was leben will

Von Günther M. Doliwa, 28. Februar 2020

 

Legitimationskrise

Bei den Reden der konservativ-reaktionären Front um Kardinal Woelki/G.L. Müller/Voderholzer & Co. haben wir es mit heillosen Rückzugsgefechten von klerikalen Hardlinern zu tun. Hier offenbart sich eine Legitimationskrise. In Anlehnung an Peter Sloterdijk spreche ich phänomenologisch von einem „klerikalen Zynismus“. Mit Zynismus charakterisiert Sloterdijk 1983 die Replik der Herrschenden auf Provokationen von unten. Das verblendete Herrschaftswissen wird polemisch. (Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, 21. Auflage 2018, S. 399ff) Dieser Typ von strategischer Polemik, der die Kritiker der Macht denunziert, taucht auf, wenn es um die richtige Auffassung von Wahrheit geht, also wenn in Krisen eine offizielle auf eine inoffizielle Sicht von Wahrheit stößt. Es geht also um Denk- und Handlungsmuster, deren zynischer Charakter gar nicht durchschaut wird, nicht darum, den Rednern moralische Verwerflichkeit vorzuhalten. Klerus und Laien haben sich entfremdet! Streitbare Seiten stehen sich gegenüber, greifen an, schlagen zurück, relativieren sich, reiben sich aneinander und lernen sich – im günstigsten Fall - kennen.   

Erneut unter Beweis gestellt hat dies der Ex-Präfekt der Glaubenskongregation G. L. Müller, der die Entscheidungsfindung beim Synodalen Weg skandalöser Weise mit dem Ermächtigungsgesetz des Deutschen Reichstags von 1933 verglichen hat. "In einem suizidartigen Prozess hat die Mehrheit entschieden, dass ihre Entscheidungen gültig sind, auch wenn sie der katholischen Lehre widersprechen", sagte er am 4.2.2020. Wörtlich: "So war es, als die Weimarer Verfassung durch das Ermächtigungsgesetz aufgehoben wurde. Eine selbsternannte Versammlung, die weder von Gott noch von dem Volk autorisiert ist, das sie vertreten soll, hebt die Verfassung der Kirche göttlichen Rechts auf, die auf dem Wort Gottes in Schrift und Überlieferung beruht." Hier spricht jemand mit höchstpersönlich von Gott autorisiertem Glaubensabsolutismus, was Beteiligte am Synodalen Prozess als „vergiftend" und „zerstörerisch" empfinden.

Was für ein Bewusstsein meldet sich da aus der erzkonservativen Ecke? Man beruft sich auf eine Verfassung göttlichen Rechts, belegt in Schrift und Tradition, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass „der Glaubensabsolutismus der organisierten Religion“ (P. Sloterdijk, a.a.O. S. 69) nach den Regeln der Kunst suspendiert ist. „Mit der Frage: Woher kann man das wissen? schneidet die Aufklärung dem Offenbarungswissen geradezu elegant, ohne besondere Aggressivität, die Wurzeln ab. Beim besten Willen kann menschliche Vernunft am geheiligten Text nicht mehr finden als historische, von Menschen gemachte Annahmen. Mit einer einfachen philologischen Nachfrage wird der Absolutheitsanspruch der Tradition vernichtet.“ „Die christliche Theologie bedeutet den so unermesslichen wie gespenstischen Versuch, Gewissheit gerade dort zu suchen, wo sie der Natur der Dinge nach nicht sein kann.“ (Ebd. 519) Wer sein Zu-viel-wissen nicht dezent verbirgt, bekommt es mit Zynismus zu tun. „Armer Hans Küng.“ (522)

 

Aufgeklärte Religion?

Fördert die Kirche Résistance, Emanzipation, Vitalität?

Religion könnte aufgeklärt sein und eine Zukunft an der Seite der Aufklärung haben, weil keine bloße negative Kritik und keine Enttäuschung ihr gerecht wird. Aber die Glaubens-Absolutisten tun so, als könnten sie einen unbedingten Standpunkt einnehmen, um eine geschichtlich entstandene Lehre als unantastbare Offenbarungswahrheit auszugeben. Sie stilisieren sich zu Gralshütern einer Wahrheit, die ihre Evidenz verloren hat. Durch ihr angemaßtes theologisches Sonder- und Herrenwissen spalten sie sich konsequent ab vom Volk, dem sie nur Laien-Wissen einräumen und eine Emanzipation in Glaubensfragen nicht zugestehen. Herrenköpfe wissen genau, was sie sagen. Sie zeigen den Leuten, wo oben und unten ist. Was gerade noch geht und was auf keinen Fall gehen kann. Sie entmündigen das Glaubensvolk, indem sie soziales Chaos voraussagen, wenn es wagen sollte, seinen Anspruch auf selbst verantwortete religiöse Mündigkeit und Lebendigkeit ins Spiel zu bringen. Die so verstandene Hierarchie hat sich massiv vom Kirchenvolk und von der modernen Theologie entfremdet.

Will die katholische Kirche ihr Dilemma begreifen, muss sie den Ambivalenz-Konflikt lösen. „Religion ist primär nicht das Opium des Volkes, sondern die Erinnerung daran, daß es mehr Leben in uns gibt, als dieses Leben lebt.“ (Sloterdijk, a.a.O.509) Religion kann „beides sein, Herrschaftsinstrument und Kern einer Resistance gegen Herrschaft, Medium der Repression und Medium de Emanzipation, Instrument der Devitalisierung oder Lehre der Revitalisierung.“ (510) Die Kirche, als Institution und Geist, muss sich entscheiden, welche Rolle sie spielen will: „Unterdrückung zu legitimieren und zu verdoppeln“ oder dazu beizutragen, „die Angst zu überwinden, die Individuen zu großer Widerstandskraft und Kreativität befreien.“ Lebendigkeit, Kraft, Lust, Rätsel, Rausch warten darauf, in der Kirche entdeckt zu werden. Für welchen Weg entscheidet sich die Kirche? Für die emanzipatorische Line oder die konservativ-verweigernde?

Synodaler Weg – wohin?

Betrachten wir den Prozesscharakter des Synodalen Wegs, können wir verschiedene Gruppen wahrnehmen. Ob es ein teilnehmendes Publikum geben wird, ist noch fraglich. Reformkräfte jedenfalls sind von Haus aus nur Zaungäste, obwohl sie gleichsam als eine Vorhut, als Avantgarde einer zeitgemäßeren Kirche gelten könnten. Sie werden (noch weitgehend) vom Dialog ausgesperrt, sind nur als Thema, nicht als Existenz zugelassen. Es gehört Freiheit und Frechheit dazu, zu sagen, was man in Wahrheit lebt.

Die Vollversammlung des SW besteht aus 230 Geistlichen und Laien, plus je fünf dazu gewählt pro Forum. Da sind die offiziellen Kirchenverbandsleute neben der Gruppe der lernfähigen Aufgeschlossenen unter den Bischöfen, die zu neuen Wegen bereit sind. Was wenn sie unterwegs ein persönlich freundliches Gesicht zeigen und hinterher ein lehramtlich erstarrtes? Manche Bischöfe stecken in Ambivalenz-Konflikten, wie weit sie bei Reformen mitgehen sollen, ohne den Zusammenhang mit der Weltkirche zu zerreißen. Manche mobilisieren ihre Loyalität und verbergen ihre Vorbehalte hinter einer grundsätzlichen Skepsis. Bischof Hanke/Eichstätt sieht die Gefahr, dass „man sich letztlich durch die Beschlussfassung abkapselt (?) von der Tradition der Kirche und von der Gemeinschaft der Weltkirche.“ Bischof Schick/Bamberg, der kein Problem hatte, 96 Seelsorgebereiche auf 35 zu reduzieren, gibt sich auf den Synodalen Weg bezogen zwiespältig und ängstlich vor Veränderungen. In Richtungskämpfen zermürbt wirft mancher das Handtuch.

Im Schatten und gut vernetzt, agiert eine Nachhut, eine einstige Vormacht in der Defensive, die auf der faktischen Selbsterhaltung einer Kirchenkonstitution besteht. Für sie ist alles Reden über Demokratie ein Missverstehen der Kirche und eine Überschreitung der engen Kompetenzen der Laien. In den Augen der Reformer haben jene ihre Legitimation umso klarer eingebüßt, da ihre ganze Raffinesse sich abarbeitet in der Verlängerung ihrer Macht. Klerikale „Verbalzyniker“ geben sich sicherer als man sein kann. Sie leben ihre negative, aggressive Seite aus im Strafbedürfnis, qualifizieren pastorale Zugeständnisse ab als theologischen Offenbarungseid, beschwören eine spaltungsfreie Einheit, die sich nicht vertrage mit Pluralismus, und maßregeln Abweichler und Querdenker von oben herab. Sie meinen zu wissen, was in der Kirche unverzichtbar sei. Sie meinen zu wissen, was auf immer katholisch sei. Anstatt die historisch bedingte Glaubenswelt zu entmythologisieren, verteidigen sie eine ewig-sakrale klerikale Herrschaftsstruktur, bei der sie das letzte Wörtchen haben wollen. Von Begriffen und Floskeln rücken sie nicht ab, auch wenn ihnen dazu nur die immer gleichen Deutungen einfallen. Sie sind wie entlassene Kapitäne auf dem untergehenden Schiff, das sich einst „Kirche“ nannte, gefeiert von Pseudo-Prominenten, die sie triumphierend mit dem Dauerlügner Trump vergleichen. Dabei erinnern Kirchen-Rechtler nüchtern daran, dass eine „echte Beteiligung“ gar nicht vorgesehen sei und „Augenhöhe“ mit Amtsträgern nur eingebildet. „Weit überwiegend scheinen die katholischen Laien aber damit zufrieden, sich gesehen zu fühlen, statt effektiv partizipieren zu können." (Lüdecke) Die Metapher „Weg“ verschleiert die Gegensätze. Wäre es doch ein Pilgern mit Start und Ziel!

 

Entlarvung von Spaltungen

Wir haben es nach der Missbrauchsstudie mit der Entlarvung von (Ab-)Spaltungen und innerkirchlichen Risikofaktoren zu tun. Je höher der moralische Anspruch, umso tiefer der Fall. Für den Zeitraum zwischen 1946-2014 wurden gezählt: 3677 Opfer, mindestens, davon 969 Ministranten; also jeder vierte! 1670 Täter, also 4,4 % aller Kleriker in Deutschland. 566 erhielten nur ein rein kirchenrechtliches Verfahren. In 154 Fällen keine Sanktion. In 103 Fällen eine Ermahnung. 41 wurden entlassen aus dem Kleriker-Stand. 88 wurden exkommuniziert. Über Entschädigungen ist man sich unter den Diözesen bis heute nicht einig. Menschen, die nicht verkörpern, was sie sagen, verwässern, verfälschen die Lehre. Wenn Amtsinhaber die Wahrheit über sich wissen und trotzdem weitermachen, „dann erfüllen sie vollkommen die moderne Definition von Zynismus.“ (Sloterdijk, 206) Es genügt also nicht, Reformthemen auf den Tisch zu bringen; die können jederzeit wieder vom Tisch gewischt werden. In der gespannten Atmosphäre tiefgehender Auseinandersetzungen kann es sehr wohl zu Enthemmungen kommen, denen die Traditionalisten ebenso wenig gewachsen sein könnten wie die Reformer. Das Klima der Lockerungen könnten die Herrschaftsideologen als anti-hierarchischen Affront verstehen, was in ersten Einschätzungen unserer verlässlich konservativen „Pappenheimer“ ja zu lesen ist. Die Konservativen antworten empört: An unserer göttlichen Verfassung rüttelt ihr jedenfalls nicht – nicht ungestraft! Sie wedeln mit dem Gespenst der Unfehlbarkeit. Reformer halten dagegen: Ihr macht uns die Kirche nicht kaputt!

 

In die Schule der Realität gehen,

den Schatz der Erfahrungen heben

Klerikale Zyniker müssten in die Schule der Realität gehen, was sie jedoch nicht nötig zu haben scheinen. Wie aber wollen sie Werte wie Mitgefühl, Teilen, Interesse am Wohlergehen der einzelnen leben, wenn sie von den Ärmsten der Armen, zumal von Frauen nichts lernen, diese aber beständig belehren wollen!? Nur ein aktuelles Zufallsbeispiel: Ökofeministinnen wie Vandana Shiva wären gute Ratgeberinnen: „Die Vorherrschaft des Mannes ist für niemanden gut. Ein Mann, der auf eine dominierende Rolle reduziert wird, kultiviert eine – mehr oder weniger latente – Form der Gewalt.“ (Lionel Astruc/Vandana Shiva, Eine andere Welt ist möglich, oekom Verlag 2019 S. 142) Die Befreiung der Männer ginge über Mitgefühl und Teilen. Laut WHO 1988 ist zur Kenntnis zu nehmen, „dass ein Zweiergespann Ochsen jährlich 1064 Stunden pro Hektar arbeitet, ein Mann 1212 und eine Frau 3485 Stunden – eine Frau arbeitet also länger als ein Mann und die Zugtiere zusammengenommen.“ In den ländlichen Gebieten Asiens und Afrikas arbeiten Frauen 13 Stunden pro Woche mehr als Männer. (Ebd. S.127) Frauen haben es satt, dass Männer trotzdem die Herrschaft über so gut wie alles beanspruchen, wobei Selbsterhaltung auf Machterhalt hinausläuft und nicht selten bis zur Selbstvernichtung reicht. Aber interessieren Kleriker Frauenschicksale überhaupt?

 

Arbeit am Zeitschmerz und ein Stück Heilung

Illusionslosigkeit gehört zur Moderne der fortwährenden Desillusionierungen. Die Schwerverwundeten einer Kultur können sich nicht einfach arrangieren mit dem Gegebenen. „Jede Kritik ist Mitarbeit im Zeitschmerz und ein Stück exemplarischer Heilung.“ (Peter Sloterdijk, a.a.O. S.26) Unter jeder Kritik klaffen Wunden. Es geht nicht darum, gegen alles, was Macht hat, eine Vorwurfshaltung einzunehmen. Aber sensible Selbstbesinnung und Selbstbestimmung hütet sich davor, gewisse Gegner überzeugen zu wollen, die sich ein Alibi der Verständnislosigkeit zugelegt haben, die Flucht in eine Allgemeinheit von „Wahrheit“ antreten, die Laien von Haus aus unzugänglich sei. „Kritik ist möglich, sofern der Schmerz uns sagt, was „wahr und falsch“ ist.“ (Ebd.20) Wie die Dinge liegen, kann es Treue zum Christsein nur noch in Untreue zur dogmatisch festgenagelten Kirche geben. Überträgt man den Satz: „Wissen ist Macht“ und „Macht ist Wissen“ auf die Kirche, begegnen wir einem klerikalisierten Denken, das idealistisch abhebt und sich arrogant vom Profanen distanziert. Es negiert jede wirkliche Wahrheitsliebe, die stets ein Weg ist und keine Endstation. Wahrheit, die man begriffen hat, will sich vermitteln und verkörpern, also praktisch werden und praktisch sein. Sich einmischen in die Verhältnisse, die vor Ungerechtigkeit, Schwindel, Machtgeilheit und Gier strotzen. Wer schlägt Brücken in die vom Klimawandel geschockte Gegenwart, die uns herausfordert, ihr gewachsen zu sein?

 

Lehrgänge ins Utopische

Wer zu Jesus in die utopische Lehre geht (!), - es ist ein Weg, kein Urlaub auf Trauminseln! - muss sich auf Wendungen, Wanderungen und Wunder gefasst machen. Er braucht keine gestandene Lehre mitzubringen, da das Leben in seiner Lebendigkeit Bestandsverteidigung lächerlich macht. Er muss bereit sein zu Aufbrüchen, Dinge und einst als richtig Gedachtes hinter sich lassen. Er, den die ersten AnhängerInnen als „Zeichen des Widerspruchs“ (Lk 2,34) verstanden, sorgt für eine Aufhebung der Dinge, die in eine andere Ordnung mündet. Er umschreibt mit Himmelreich-Gleichnissen diese andere Art zu sein.

Das Standpunktdenken muss zerstört werden, wenn man sich auf einen Weg macht. Im Gehorsam gegen die eigene Erfahrung, wird man fähig durch Aufklärung im guten Sinn zu ent-täuschen. Erfahrung macht sich keine Illusionen. Das wissen alle, die Brüche im Leben zu verkraften haben; alle, die auf die rätselhaften Wege der Kinder schauen, die ihre Elternerwartungen ins Leere laufen lassen; alle 2000 laisierten, verheirateten Priester im deutschsprachigen Raum.

 

Mehr als Kostümkritik

Es geht beim eingeschlagenen „Synodingsbums“ (Christiane Florin) nicht nur um Kostümkritik, obwohl auch das in der katholischen Kirche etwas hergibt, wenn man die wallenden Prozessionen des altmodischen Hochklerus betrachtet oder die aberwitzige Titelparade der Ring- und Amtsträger. In dieser Hinsicht wird Kritik maximale Erheiterung. Mancher in Machtspiele verstrickte Protokollchef verschwände besser von der Bühne. Zur Schau getragene höfische Würde entbehrt nicht einer gewissen Komik. Stockernste Männer-Mienen beim schleppenden Einzug in prächtigem Ornat, imperiale Segensgesten wirken aus der Zeit gefallen. Wenn die himmlische Regie es vorsieht, blättert bei der Beerdigung eines Papstes der Wind in der aufgeschlagenen Bibel, vergeblich eine Schlüssel-Stelle suchend…

 

Als Gemeinschaft verkörpern, was leben will

Fünf vor ernst aber ist es eine Mega-Aufgabe, die Tradition zum Sprechen zu bringen über das, was entbehrlich und verzichtbar ist, und ins Gespräch zu bringen mit den Erkenntnissen von heute. Kann schon sein, dass da Fetzen fliegen von zerrissenen Reden und Katechismen, die nur Abwehr waren gegen das eigentliche Leben des freien Geistes. Komm, du Geist, der Leben schafft!

Weshalb sich spalten lassen in die Alternative: aussteigen oder mitmachen? Was wäre gewonnen, wenn die moralisch Empfindlichsten das sinkende Schiff verlassen!? Wohin wenden sich Schiffbrüchige?

Die Moral sagt: Lebe, was du sagst! Und meint: Folge dem, was gelehrt wird! Der moderne Mensch weiß, es genügt zu sagen, was man lebt. Es reicht zu verkörpern und zu sagen, was leben will. Ob das Zerrissene (zwischen Klerus und Laien, Geist und Körper, Institution und Ereignis) wieder zusammenwächst? Es gilt, wachsam zu bleiben, wenn Spaltungen und seelische Abspaltungen drohen; bewusst in die eigenen Möglichkeiten hineinzuwachsen und vor allem – Wünsche zu achten, in denen das Mögliche vorscheint. Die Felder der Welt bestellen, zum Wohle aller. Im Bewusstsein einer universellen Zugehörigkeit zur (unterstellten) Gemeinschaft aller Glaubenden, Liebenden, Hoffenden könnte die Kirche Zeichen und Werkzeug einer größeren Einheit werden. Die monarchische Verfasstheit der katholischen Kirche aber ist aussichtslos überholt. Konservativen Lehr-Inhabern über göttliche Gesetze und Strahlungen gebührt als Antwort der klug-subversive Satz des Weltbürgers Diogenes aus der Tonne:

Steht nicht dem Licht im Weg!

Geht uns aus der Sonne!

 

 

Lied auf Youtube Willkommen Willkommen

Mein 1. Lied auf Youtube seit dem 29.10.2017

Freundlicherweise aufgenommen von Elmar Fuchs/Tirol

 

WILLKOMMEN, WILLKOMMEN
Beitrag zur Willkommenskultur

gesungen auf der 40. Bundesversammlung von Wir-sind-Kirche Ende Oktober 2017 in Ulm. Ich wurde ins Bundesteam gewählt für zwei Jahre.

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=CnC_hsqUf2c&t=1s

 

 

Neuerscheinung 2017 

 

Mein Luther-Buch zeigt das von Anfang an Umstrittene an einem, der um die Wahrheit zu ergründen Berge versetzte. 40 Abbildungen.

Einem Feature-artigen Porträt folgen moderne Thesen, Essays, Rezensionen, eine fundamentale Kritik der Rechtfertigung, Anstöße zu neuen Blickwinkeln, Lieder & Gedichte. Darunter moderne Versionen von Luther-Liedern:

"Vom Himmel hoch" und "Ein feste Burg"

bzw Friedensbereit/Ökumenische Fassung.

 

Preis: D 16,50 Euro CHF 20 ; AT 18 Euro

 

Ach, Europa! Skizzen zur Flüchtlingsfrage  2016

Hochbrisante Aspekte rund um ein Zeitphänomen, das die Nationen wiederbelebt und spaltet.

Europas dunkles Geheimnis: Afrika

Fakten, Fiktionen, Hintergründe, Visionen

 

Preis: 14,80 Euro plus Versand

Presse     

NN 14.05.2016

 

Autor Günther M. Doliwa liest aus seinem Buch und betont die Wichtigkeit von Liebe und Respekt

...weiterlesen

Günther M. Doliwa
Ebrachweg 7
91074 Herzogenaurach

Tel. 09132 - 630891

kontakt@doliwa-online.de

Druckversion | Sitemap
© Günther M. Doliwa

Konzeption und technische Umsetzung: www.cdsolutions.de